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Blind am Berg

Dr. Barbara Müller (*1963), Kantonsrätin und Geologin, ist stark sehbehindert. Die Wissenschaftlerin ist oft im Himalaya und in Nepal unterwegs – inklusive Expeditionen und Klettertouren.


Barbara Müller arbeitet mit einer Sprachausgabe des Notebooks.
Sehen kann sie den Bildschirminhalt kaum mehr.

Frau Müller, Sie reisen regelmässig in den Himalaya, was machen Sie dort?

Ich bin beruflich oft im Himalaya in Nepal unterwegs. Im Flachland von Nepal (gegen die indische Grenze hin) wird leider Arsen, ein bekanntlich hochgiftiges chemisches Element, im Grundwasser aufgefunden. Dieses Grundwasser wird hochgepumpt und als Trinkwasser verwendet. Nach jahrelanger Exposition erkranken Menschen daran, bis sie an Krebs sterben. Meine Aufgabe ist es einerseits, die bestehenden Filter zu verbessern und andererseits, herauszufinden, woher das Arsen stammt.
Die Effizienz der heutigen Filter ist inakzeptabel. In diesen Filtern wird das Arsen auf der Oberfläche von rostigen Nägeln gebunden – bis dato nur in ungenügender Weise.
Das Arsen ist geologischen Ursprung und deshalb ist es unerlässlich herauszufinden, woher es originalerweise stammt und wie es aus den Sedimenten (dem Boden) herausgelöst wird. Dies ist eine typische Aufgabe für mich als Geologin. Nämlich, das System als Gesamtes zu verstehen.
Sind wir dann soweit, können wir die Filter aufgrund der neuen Erkenntnisse anpassen.

Sprechen Sie Nepali?

Ja, ich spreche die Amtssprache Nepals, sonst wäre meine Arbeit kaum möglich. Meine Nepali Assistenten sprechen zwar in der Regel Englisch, die Vertreter der betroffenen Bevölkerung jedoch kaum. Die Kenntnisse der Sprache erleichtert mir die Arbeit ungemein.

Wie ist der Umgang der dortigen Menschen mit Ihrer Sehbehinderung?

Meine Nepali Freunde und Assistenten kennen mich nicht anders, sie haben mich nicht erlebt, als ich noch ein besseres Sehvermögen hatte. Die Menschen in Nepal sind materiell nicht dermassen üppig bedacht, wie wir es in der Schweiz kennen. Auch infrastrukturmässig – zum Beispiel bei den Verkehrswegen oder im Gesundheitswesen – ist kein westlicher Standard vorhanden. Nepali sind daher ausserordentlich befliessen darin, im Hier und Jetzt zu leben, sich mit Situationen zu arrangieren, wie sie sich eben präsentieren. Darüberhinaus wissen sie sich improvisationsmässig stets zu helfen. Meine Sehbehinderung ist für sie Alltag, gehört zu mir, ist nicht zu ändern und man kann sich damit arrangieren und sich überlegen, wie die Arbeit trotzdem ausgeführt werden kann oder wie man mich im Hochgebirge auf Expeditionen unterstützen soll. In Nepal akzeptiert man Menschen grundsätzlich, wie sie eben sind und wertet nicht. Man darf in diesem Zusammenhang jedoch nicht vergessen, dass ich Gast bin im Lande und ich deshalb unter Umständen von gewissen Privilegien profitieren kann.

Und in der Schweiz?

Da ist es leider anders – nur schon wegen der «Scheininvaliden»-Debatte, die vor über einem Jahrzehnt losgetreten wurde. Hier konzentriert man sich generell auf Defizite. Das heisst: Man ist defizit- und nicht ressourcenorientiert. Daher existierten beispielsweise angeblich typische Blindenberufe. Ob sie für Betroffene persönlich geeignet wären, ist Nebensache. Vorurteile sind leider weit verbreitet; Konflikte, die sich aus dieser Haltung ergeben, sind vorprogrammiert. So wird mir und anderen oft unterstellt, dass eine körperliche oder sinnesorganmässige Einschränkung quasi automatisch eine kognitive Beeinträchtigung nach sich ziehe. Zu solchem Unsinn werde ich mich nicht weiter äussern. Sehr schnell werden in der Schweiz auch Wertungen ausgesprochen, beziehungsweise Menschen aufgrund von auffälligen Eigenschaften stigmatisiert. Der Mensch als Ganzes wird kaum wahrgenommen. Wohl fehlt es den Menschen in der Schweiz im generellen (materiell) an nichts, trotzdem wälzt man Probleme, wie es denn in der Zukunft bestellt sein könnte.
Grundsätzlich ist es in der Schweiz einfacher als in Nepal, technische Hilfsmittel zu organisieren. Assistenten werden von der Sozialversicherung bezahlt, aber in der Regel nur nach einem riesigen Aufwand und oft nur nach Gerichtsgängen.

> Mehr Infos: www.barbara-himalaya.ch

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