2019

Flexible Arbeitswelt

Claudine Esseiva (*1978) ist Stadträtin in Bern. Sie engagiert sich im Vorstand der Business and Professionel Women (BPW) Switzerland.

Frau Esseiva, im Vergleich zu linken Frauen, werden FDP-Frauen viel seltener in politische Ämter gewählt. Woran könnte das liegen?

Claudine Esseiva: Da muss ich widersprechen: Auf den FDP-Listen werden Frauen stets sehr gut gewählt. Die FDP stellte mit Frau Kopp auch die erste Bundesrätin. Die FDP hat aber allgemein weniger Frauen als Mitglieder und somit auch auf den Listen im Vergleich zu den linken Parteien oft weniger Frauen. Das muss die FDP unbedingt ändern. Ich bin daher sehr stolz, dass wir dieses Jahr für die Nationalratswahlen bei der FDP Bern auf der Nationalratsliste einen Frauenanteil von 45 % haben. 

Wie kann die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert werden?

Wir brauchen bessere Infrastruktur, das heisst Tagesschulen und Ferienbetreuung. Diesbezüglich sind wir in vielen Regionen noch nicht so weit, da oft noch das traditionelle Modell gelebt und somit andere Modelle fast keine Chance haben. Dazu kommt, dass erwerbstätige Eltern auch steuerlich immer noch bestraft werden und sich oft ein zweites Einkommen wegen der höheren steuerlichen Belastung und der hohen Fremdbetreuungskosten gar nicht lohnt. Diese falschen Anreize müssen unbedingt abgeschafft werden. 

Und die Wirtschaft ist gefordert, die Arbeitswelt flexibler zu gestalten, damit Frauen und Männer das Familienleben organisieren können.

Was können Männer zur Gleichstellung der Geschlechter beitragen?

Die Männer sind der Schlüssel zur Gleichberechtigung. Ohne Männer wird der gesellschaftliche Wandel nicht geschehen. Darum ist es sehr wichtig, dass wir nicht von «Frauenthemen» reden, sondern von Gesellschaftspolitik. Wenn Männer und Frauen erkennen, dass ein Leben auf Augenhöhe in der Wirtschaft, in der Politik und im Privaten für alle ein Mehrwert ist, dann ist die Gleichberechtigung erreicht.

Nach wie vor arbeiten viele Frauen ehrenamtlich und stehen nach einer Scheidung oder im Alter mittellos da, wie lässt sich das ändern?

Die finanzielle Unabhängigkeit der Frauen ist absolut zentral. Wie immer braucht es zwei, um eine Situation zu verbessern. Frauen müssen ihren Teil der Verantwortung auch übernehmen und sich bewusst sein, dass die Erwerbstätigkeit für sie zentral ist, gerade hinsichtlich der Altersvorsorge. Und auf der anderen Seite muss die Wirtschaft auch begreifen, dass die Welt sich ändert, wir flexible Arbeitsbedingungen brauchen und wir das Potenzial unserer Arbeitskräfte optimal nutzen sollten.  

Ich bin heute der Meinung, dass das Scheidungsrecht auch für Männer nicht fair ist und ich hoffe sehr, dass die Scheidungen den Menschen aufzeigen, dass es eben sowohl für Mütter als auch für Väter wichtig ist, Zeit mit der Familie zu verbringen und auch, dass es für beide wesentlich ist, finanzielle Unabhängigkeit zu wahren.

Welche Feministinnen/Pionierinnen sollten unsere Leserinnen und Leser kennen:

Anne-Marie Schwarzenbach, eine mutige Frau, Schriftstellerin, Journalistin, Reisende
Iris von Roten: die Feministin der Schweiz, mutig, kämpferisch – ein absolutes Vorbild
Carmen Walker Späh, Regierungsrätin Zürich – eine FDP-Frau, die sich für liberale Werte in der Wirtschaft und Gesellschaft einsetzt, Mutter, Grossmutter und Wirtschaftsfrau

www.claudine-esseiva.ch