Anne-Sophie Keller ist Journalistin. Sie hat ein Buch über Iris von Roten geschrieben (Xanthippe-Verlag) und engagiert sich seit Jahren für die Gleichstellung von Frau und Mann.
Frau Keller, was hat der Feminismus in der Schweiz bis jetzt erreicht?
Anne-Sophie Keller: So vieles! Zum Beispiel das neue Eherecht, die Fristenregelung, der Mutterschaftsurlaub, das Frauenstimmrecht. Also allesamt wichtige Rahmenbedingungen für eine gleichberechtigte Gesellschaft. Doch es gibt noch viel zu tun. Zum Beispiel braucht es eine Frauenquote, da wahre Chancengleichheit ohne sie nicht möglich ist. Dafür funktionieren die Männernetzwerke noch zu gut. Und es braucht einen Vaterschaftsurlaub. Zudem finde ich nicht, dass die sexuelle Revolution für die Frauen schon stattgefunden hat. Weibliche Sexualität wird noch immer verurteilt, wenn sie selbstbestimmt ist.
Können Männer etwas zum Feminismus beitragen?
Sie können, müssen und sollten. Die feministische Bewegung ist eine Verantwortung, die wir gesamtgesellschaftlich wahrnehmen müssen. Männliche Alliierte sind unglaublich wichtig, da sie oft noch entscheidende Machtpositionen innehalten. Und auch Männer profitieren von einer gleichberechtigten Gesellschaft.
Nach wie vor arbeiten viele Frauen ehrenamtlich und stehen nach einer Scheidung oder im Alter mittellos da. Wie könnte das geändert werden?
Indem sie sich von der Vorstellung lösen, sich immer um alles und jeden kümmern zu müssen – und sich stattdessen mal um sich selbst kümmern. Zudem braucht es Rahmenbedingungen, die erfüllt werden müssen: Lohngleichheit, eine Sexismus-freie Arbeitswelt, den Vaterschaftsurlaub, etc.
Welche Feminismus-hemmende Faktoren gibt es?
Es gibt noch immer die Haltung, dass Frauen weniger wert sind. Das hat mir der Abwertung weiblicher Arbeit zu tun und auch mit dem Bild, das Medien und die Werbebranche von Frauen präsentieren. Und natürlich spielt auch die Religion eine Rolle: Die meisten Religionen basieren unter anderem auf einer systematischen Unterdrückung der Frau – ich empfehle dazu den Schweizer Dokumentarfilm Female Pleasure.
Wie wäre Ihr Leben verlaufen, wenn Sie ein Mann wären? Wie wäre Ihr heutiger Alltag?
Beruflich wäre ich wohl auch Journalist geworden. Ich hätte andere und womöglich weniger Unsicherheiten. Ich wäre noch nie auf Diät gewesen und als Schlampe bezeichnet worden. Ich wäre weniger müde, weil ich nicht immer mehr hätte leisten müssen, um gleich Ernst genommen zu werden wie meine Kollegen. Ich hätte wohl mehr Mühe damit, mit meiner emotionalen Art umzugehen. Und ich hätte einen wirklich hässlichen Namen: Wäre ich ein Junge geworden, hätten mich meine Eltern in einem Anflug geistiger Umnachtung Harald genannt.
Welche Feminist_innen sollten unsere Leser_innen kennen?
Keine. Ausser sie brauchen Inspiration. Sie sollen selbst Feminist_innen werden.
> Webseite von Anne-Sophie Keller
> Xanthippe-Verlag: Biografie von Iris von Roten
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