2019

Eine unglaubliche Breite

Prof. Viola Heinzelmann-Schwarz (*1969) ist seit 2013 die erste Frau, die in der Schweiz eine universitäre Frauenklinik leitet, und sie ist die erste Professorin (Ordinaria) mit Lehrstuhl für Gynäkologie.

Frau Heinzelmann, was war Ihre Motivation, Ärztin zu werden?

Ich bin die erste Medizinerin in einer Kaufmannsfamilie, familiär bedingt ist diese Motivation also nicht. Der Wunsch, Ärztin zu werden war bei mir schon immer vorhanden, doch es ist sehr schwierig zu sagen, woher dieser stammt. In gewisser Weise war ich stets vom menschlichen Körper fasziniert, ich wollte anderen Menschen helfen können und als junger Teenager verschlang ich Biografien, meist von Wissenschaftlerinnen oder Pazifistinnen, zum Beispiel von Bertha von Suttner, Marie Curie, Käte Frankenthal, Albert Schweitzer, Albert Einstein, Schwester Teresa oder Mahatma Gandhi. Das alles mag wohl dazu beigetragen haben. 

Würden Sie Ihren Werdegang als einfach bezeichnen? Oder eher als Marathon? 

Nein, ich würde meine Laufbahn nicht als einfach bezeichnen, Marathon passt da eher. Eine wissenschaftliche Karriere kann man nicht einfach «machen wollen», zumindest hätte ich das immer als vermessen empfunden. Viel mehr hängt sie mit glücklichen Geschicken zusammen:  Man ist einfach zur rechten Zeit am rechten Ort und man hat die Mentalität eines Stehaufmännchens. Dann braucht es auch ein gutes Umfeld, supportive Freunde und einen Partner, der den Weg mitträgt. Schlussendlich helfen wirkliche Mentorinnen und Mentoren, die einen fördern möchten und dies nicht als Gefahr für die eigene Karriere sehen.

Was denken Sie, weshalb gerade die Frauenheilkunde so lange in Männerhand war?

Mein Fachgebiet umfasst eine unglaubliche Breite: Jugendliche, Frauen mit Wunsch nach Verhütung, unerwünschter Kinderwunsch, Sterilität, Schwangerschaft, Blutungsstörungen, Menopause und gutartige sowie bösartige Tumore. Wir decken einen ambulanten Betrieb, eine Notfall-Sprechstunde, Geburten rund um die Uhr und auch Operationen ab. Damit ist unsere Tätigkeit automatisch mit breitem zeitlichem Einsatz verbunden. Geburtshelfer im Hintergrund, also Ärztinnen und Ärzte, die Bereitschaftsdienst haben, stehen oft jede Nacht auf, weil sie zu Geburten gerufen werden. Karzinomoperationen dauern zum Teil länger als 7 Stunden – das ist auch körperlich sehr fordernd. Viele Frauen mit familiären Verpflichtungen wollen sich dem nicht auf Dauer aussetzen. Für Frauen geht das nur, wenn sie sich sehr gut organisiert und Unterstützung geholt haben; das allerdings hat seinen Preis, finanziell und ideell. Für mich hatte es immer einen besonderen Reiz, mich insbesondere in einem Männer-dominierten Feld durchzusetzen.

Die meisten Kaderstellen in Frauenkliniken sind nach wie vor mit Männern besetzt. Wären Quoten eine Lösung?

Ich selbst hätte nie eine Quote gewünscht, weil ich immer den Eindruck gehabt hätte, dies würde meine Leistung mindern. Man muss nicht Frauen über Quoten auswählen, sondern ihnen genau die gleichen Chancen geben wie Männern und insbesondere ein Umfeld schaffen, in dem man Frauen ermuntert, fördert und ihnen den Weg zeigt, sollten sie ihn gehen wollen.

Was raten Sie jungen Ärztinnen, die ebenfalls eine Klinik leiten wollen? 

Ich weiss nicht ob der Antrieb, eine Klinik zu leiten der Richtige wäre. Mir liegt es nicht an dieser Funktion, sondern eher daran, dass dies eine Möglichkeit ist, das Umfeld etwas zu ändern, Leute zu fördern, ein Klima des Lehrens und Lernens zu schaffen, Vertrauen aufzubauen und gute Medizin zu betreiben. Man sollte das anstreben, was einem am besten liegt und in dem man am besten ist. Ich bin solch ein glücklicher Mensch, weil ich jeden Tag mit Freude zur Arbeit gehe und das tun kann, was ich am besten kann – und ich habe die Chance, mit meinem täglichen Handeln Leuten eine Freude zu machen, sie zu fördern und ihnen gesundheitlich zu helfen.

Welche Frauen / Pionierinnen sollten unsere Leserinnen und Leser kennen?

In der Schweiz muss ich da klar Marie Heim-Vögtlin als erste Schweizer Ärztin nennen. Vorreiterinnen als Chefärztinnen in meinem Fachbereich waren Brida von Castelberg oder Irene Hösli. In Deutschland war die erste Ordinaria Prof. Marion Kiechle.

Prof. Viola Heinzelmann-Schwarz, Unispital Basel