Regina Probst, BS Psychologie, Lehrerin und Genderfachfrau, Bern
Frau Probst, Sie bezeichnen sich nicht mehr als Feministin, obwohl Sie nach wie vor für die Gleichstellung der Geschlechter sind. Ist das Wort «Feminismus» zu ungenau? Gibt es diverse Feminismen?
Regina Probst:Frei nach Rilke würde ich es so sehen: «Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen …».
Das heisst, feministische Anliegen sind in meiner aktuellen Vorstellung immer noch unabdingbarer Teil der erforderlichen Entwicklungen. Es kann gar nicht anders sein, wenn die Postulate der Gleichheit der Menschen und die Menschenrechte gelten sollen. In vielen Ländern bedeutet es sogar immer noch primär, den Frauen Rechte zu geben, Diskriminierungen zu verbieten. Das muss aber stets in Bezug auf das konkrete Anliegen gesehen werden.
Schauen wir aber auf Länder wie unsere westlichen Demokratien, sind wir doch schon sehr weit, was Rechte und Freiheiten anbelangt und weiter kommen wir nun eigentlich nur noch, wenn nun die «Verschiebungen» im Fokus sind, die beide Geschlechter betreffen: Elternzeit, Führungspositionen teilen, etc. Es sind also nicht mehr vor allem gleiche Freiheiten und Rechte wie Männer im Blick, sondern Rollenerweiterungen von Frauen und Männern. Gleichstellung eben. Der Begriff «Feminismus» untergräbt nun den Prozess fast eher. Nicht für jene, die wissen, wofür er steht, sondern für jene, die das Gleichstellungsanliegen offen annehmen, vor allem junge Menschen, denen aber das ausschliesslich weibliche im Wort nicht passend erscheint. Es ist weniger möglich, all die Menschen damit abzuholen, die heute einsteigen.
Für mich persönlich ist es zudem auch der unschöne Prozess, den ich immer wieder und ganz besonders im Zusammenhang mit einer von mir gegründeten Organisation erlebt habe, nämlich dass Frauen keine besseren Menschen sind. Sie bringen zwar besondere Erfahrungen mit, solange sie explizit anders sozialisiert werden – und das sind durchaus eine Sensibilisierung für Soziales und Kommunikation – doch eben auch deren Schattenseiten: unter anderem Aggression auf die psychische oft intrigante, indirekte Ebene verschoben, mangels Übung an offener Konfliktaustragung. Erlernte Hilflosigkeit, Passivität, bis hin zu sich in dieser einzurichten (alles, was ich als Frau «nicht gut kann», schiebe ich gerne den Männern zu). Das hindert Frauen eben auch, sich selber zu entwickeln, die Komfortzone zu verlassen. Diese Erwartung habe ich vor allem an die Frauen der gebildeten Mittelschicht.
Natürlich müssen Frauen eine Entscheidung mehr im Leben treffen, die sie nicht abschieben können: Kinder. In der Schweiz, wo das immer noch in den privaten Entscheidungsraum gestellt wird, ist es die Weggabelung Nummer eins, um Frauen und Männer immer wieder auf traditionelle Schienen zu bringen. Da gibt es dringenden Handlungsbedarf.
Aber es ist eben nicht nur das. Psychologisch wälzen wir Menschen gerne unsere persönlichen Schwachstellen auf äussere Bedingungen und schauen nicht so gerne den eigenen Beitrag an.
«Diverse Feminismen» gibt und gab es natürlich schon immer, beispielsweise analog zu den politischen Ansichten, die eine Person vertritt, wird sie auch die Weltsicht von dort in ihren «Feminismus» einbringen: So ist für FDP-Frauen eher der Fokus auf «Leistung erbringen», als auf Quoten. (Was sich bezüglich Quoten gerade etwas ändert). Oder christlich-bürgerlich orientierte Feministinnen haben ab einem gewissen Punkt eher Mühe mit gesellschaftsliberalen Forderungen und halten moralische Normen höher. Es gäbe noch sehr viele weitere Ausprägungen. Ich akzeptiere alles als «feministisch», solange sich nicht völlig kontraproduktive Konzepte dahinter verbergen. Also wenn es als «feministisch-emanzipativ» gelten soll, sich vom Mann belästigen zu lassen, wie die 99 prominenten französischen Frauen in einem Brief gegen die «Metoo»-Bewegung eingefordert hatten, kann ich nur den Kopf schütteln. Es ist auch ein Affront gegenüber Männern, dass die offenbar nicht anders flirten können sollen und unfähig seien, es zu lernen. Das ist ein sich angeeigneter Begriff für etwas ganz anderes: sich das patriarchale Konzept schönreden. Wobei dieses Konzept nicht persönlich konkrete Männer meint, sondern ein gesellschaftsordnendes System, das zwingend am Auslaufen ist, weil im 21. Jahrhundert nichts an unserem Leben mehr dazu passt.
Sie analysieren Genderthemen mit Blick auf beiden Geschlechtern. Worum geht es Ihnen dabei?
Wie schon erwähnt, lässt die Überwindung der patriarchalen Ordnung einer Gesellschaft bis hinunter ins Fundament keinen Stein auf dem Anderen. Es betrifft also zwingend beide Geschlechter. Hinzu kommt, dass nun auch Männerorganisationen Themen über die ungesunden Verhaltensweisen von traditionell erzogenen Männern aufklären, die hohe Selbstmordrate, die geringere Lebenserwartung, die verdeckten Depressionen, die Gewalt. Es brauchte natürlich eine Verschiebung der allgemeinen Normen, um das zu problematisieren, während es vorher einfach «normal» war. Doch mit zunehmender Zivilisierung steigt auch die Sensibilisierung: Beispielsweise Gewalt gehört nicht einfach mehr zur Gesellschaft, also schauen wir überall hin, wo sie ist und wie sie entsteht. Auch Gewalt an sich selber. Es ist völlig sinnlos, Genderthemen nur an einem Geschlecht zu analysieren.
Welche Faktoren hemmen Ihrer Meinung nach die Gleichstellung von Frau und Mann?
In erster Linie ironisch ausgedrückt einmal die Menschen selber. Wie verändern uns mehrheitlich nicht gerne und auch nicht unsere Gewohnheiten. Gleichstellung anstreben ist anstrengend und hört nie auf. Konservative Menschen meiden das Neue noch mehr, das zeigt die sozialpsychologische Forschung. Demokratische Länder haben das Tempo ihrer Bevölkerung, direktdemokratische Länder wie die Schweiz noch mehr. Das ist erst mal gut und soll so bleiben. Wir müssen uns darauf einstellen können, dass es kleine bis sehr kleine Schritte vorwärts geht und öfter auch einmal einen zurück. Sicher ist die Erweiterung der männlichen Rolle und das Verinnerlichen nun ein längerer Prozess, der auch konkrete Anliegen wie Väterzeit/Elternzeit noch mental stark sabotiert. Vorher gibt es aber keine Durchbrüche, wir müssen ja Mehrheiten haben.
Was wäre eine ideale Gesellschaft?
Mir ist es eigentlich schon ideal genug. Wichtig ist, keinerlei Abbau an demokratischen Institutionen zuzulassen. Die Unabhängigkeit der Rechtsprechung vom politischen Entscheidungsraum. Das kann auch die teilweise Einbettung in europäische oder globale Institutionen sein. Natürlich muss der Gleichstellungsprozess weitergehen und auch eine noch stärkere Institutionalisierung von gleichen Chancen ist wichtig, vor allem auch über die Gesellschaftsschichten hinweg. Gleichzeitig sollen die Freiheit und die Leistung des Individuums aber nicht zu sehr in den Hintergrund treten. Selbstbewusstsein entwickelt sich nur aufgrund eigener Leistung. Aber die Rahmenbedingungen dafür müssen fair sein.
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