Patricia Widmer leitet den Weiterbildungslehrgang «Women Back to Business» der Universität St. Gallen
Frau Widmer, für Ihren Wiedereinstieg nach der Familienphase mussten Sie hart kämpfen. Wäre ein gradueller Wiedereinstieg ins Berufsleben nach der Geburt Ihres ersten Kindes nicht einfacher gewesen?
Patricia Widmer:Das mag sein, wobei sich diese Frage bei mir nicht wirklich stellte, da wir kurz nach der Geburt unserer ersten Tochter in die USA zogen und ich dort keine Arbeitsbewilligung hatte. Somit kombinierte ich unserem Auslandaufenthalt mit der Familienphase und übte zahlreiche, spannende, ehrenamtliche Positionen aus. Ich machte viele wertvolle Erfahrungen und konnte mich somit auch fachlich weiterentwickeln und viel Neues lernen. Zu meiner Überraschung wurden diese Ehrenämter von den Personalabteilungen hier in der Schweiz nicht als berufliche Stationen angesehen, sondern als reiner Zeitvertreib, was für mich zunächst enttäuschend war.
Wie gingen Sie bei Ihrem – inzwischen geglückten – Wiedereinstieg vor?
Nachdem ich nach unserer Rückkehr in die Schweiz keine passende Anstellung gefunden hatte, entschloss ich mich kurzerhand eine Weiterbildung an der Universität St.Gallen zu absolvieren. Im Zertifikats-Lehrgang «Woman Back to Business» erhielt ich, neben dem fachlichen Know-how, ein wertvolles persönliches Coaching. Ich begann zu begreifen, was ich kann und was ich dem Arbeitsmarkt bringe. Heute weiss ich, wie wichtig es ist, sich seinen Fähigkeiten und Stärken bewusst zu sein, sowohl auf fachlicher als auch auf persönlicher Ebene, wenn es um den Wiedereinstieg ins Berufsleben oder die berufliche Neupositionierung geht. In der Weiterbildung konnte ich ein breites Netzwerk mit spannenden Unternehmen, Teilnehmerinnen, Referenten und Referentinnen sowie Professoren und Professorinnen aufbauen und dafür musste ich mir im Klaren sein, wer ich bin und was ich will. Der Weiterbildungslehrgang ist sehr praxisnah ausgestaltet. Dies erleichterte den Wiedereinstieg enorm. Und schon während der Ausbildung fand ich wieder eine Stelle.
Sie wurden auf das «Woman Back to Business»-Programm der Uni St. Gallen aufmerksam. Wie war das für Sie, so viele Jahre nach dem Studium wieder die Schulbank zu drücken?
Es war einerseits sehr spannend und inspirierend und andererseits auch anstrengend. Ich war es nicht mehr gewohnt, einen Tag lang zu zuhören und theoretischen Ausführungen zu folgen. Zudem wollte ich nichts verpassen, denn ich war sehr motiviert. Die Gespräche mit meinen Klassenkolleginnen waren sehr bereichernd und es war wunderbar zu hören, dass wir alle die gleichen Herausforderungen haben und ich somit nicht die Einzige bin, die mit dem Thema Wiedereinstieg zu kämpfen hat. Der Zusammenhalt war sehr schön und gab mir unheimlich viel Motivation. Noch heute habe ich zu einigen Kolleginnen regelmässigen Kontakt.
Zu Hause hatte ich eine weitere Hürde zu bewältigen, ich war nicht mehr durchgehend verfügbar. Nach einer kleinen Umgewöhnungszeit hatten sich alle Familienmitglieder an meinen beruflichen Wiedereinstieg gewöhnt. Schnell habe ich gemerkt, dass nicht mehr alles perfekt sein muss. Teilweise musste ich echt improvisieren. Die Mühen lohnten sich aber. Ich war ausgeglichener und ich schätzte meine Aufgaben als Mutter und die Tätigkeiten zu Hause wieder viel mehr. Ich nehme mir heute bewusster Zeit für meine Familie. Da die Zeit nun knapper ist, geniesse ich sie umso mehr.
Nun leiten Sie das Programm. An wen richtet sich dieser Weiterbildungslehrgang?
Auf jeden Fall an Frauen, die motiviert sind, etwas Neues anzufangen und den nächsten Schritt in ihrer Berufslaufbahn machen möchten. Das sind insbesondere Frauen, die seit einigen Jahren nicht mehr berufstätig sind oder einer Tätigkeit unter ihrem Potenzial nachgehen. Die formale Voraussetzung unserer Weiterbildung ist ein Universitäts- oder Fachhochschulabschluss. Unsere Teilnehmerinnen haben ganz unterschiedliche Ausbildungshintergründe. Das reicht von Wirtschaft über MINT-Fächer bis zu humanistischen Abschlüssen und auch Juristinnen dürfen wir immer wieder begrüssen. Dies führt zu einer einmaligen Vielfalt, was zu einem spannenden Austausch führt. Wir freuen uns insbesondere, dass mehr als 75 % aller Absolventinnen den Wiedereinstieg ins Berufsleben oder den Umstieg in eine andere Branche schaffen.
Frauen, und auch Männer, sind während der Familienphase grossen Belastungen ausgesetzt: zeitlich, finanziell, beruflich. Wäre es nicht sinnvoller, sich erst ab 40 auf die Karriere zu fokussieren?
Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass jeder Mensch frei wählen kann, wie er oder sie die Karriere plant. Es wäre wünschenswert, dass Wirtschaft und Gesellschaft beginnen, Karrieren anzuerkennen, welche Ecken und Kanten haben und nicht linear verlaufen. Ich hoffe, dass in Zukunft hypermobile Laufbahnen zur Regel werden.
Immer wieder lesen wir in der Presse von den verschiedenen Herausforderungen, die der Arbeitsmarkt Schweiz zu bewältigen hat. Der grosse Fachkräftemangel in vielen Branchen, der digitale Wandel, eine alternde Bevölkerung und die wachsende Anforderung nach besserer Vereinbarkeit von Familie und Beruf, um nur einige Beispiele zu nennen. Unternehmen sind zunehmend gefordert, genügend qualifizierte Arbeitskräfte zu rekrutieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Aus betriebs- und volkswirtschaftlicher Sicht macht es Sinn, den Bedarf an guten Fachkräften nicht nur durch Migration, sondern auch durch eine bessere Ausschöpfung des inländischen Potenzials abzudecken. Hier gibt es verschiedene Ansatzpunkte. Einer davon ist eine noch stärkere Integration der weiblichen Fachkräfte in den Schweizer Arbeitsmarkt.
Lehrgang «Women Back to Business (WBB-HSG)»
«Career Relaunch 2019»
«Female Leaders Seminar»