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Erlebbare Geschichte

Die Historikerin Angela Dettling ist Geschäftsleitungs-Mitglied des Museums Aargau. Ihr Ziel ist, allen Menschen die Geschichte lebendig und erlebbar näher zu bringen.

Foto: Vor der Landvogtei auf Schloss Lenzburg, im Rosengarten von Lady Mildred Jessup Bowes Lyon. Kostüm von ca. 1860.

Frau Dettling, was gehört zu Ihren Aufgaben als Geschäftsleitungsmitglied eines Museums?

Angela Dettling: Da unser Museum ein kantonales Museum ist, muss ich zusammen mit meinen Kolleg_innen in der Geschäftsleitung die Ziele im AFP erfüllen. Das sind Besucherzahlen, Vermittlungsangebote, Publikationen und Ausstellungen. Diese Zahlen werden vom Grossrat kontrolliert.

Wir erarbeiten und überarbeiten auch immer wieder unsere Museumsstrategie sowie das Leitbild und unsere Vision. Gemeinsam setzen wir die Saisonthemen für das Museum und organisieren bereichsübergreifend Veranstaltungen und Projekte.

Mein Bereich ist die Geschichtsvermittlung. Hier arbeiten sechs fest angestellte Vermittler_innen, ungefähr 30 Besucherdienstmitarbeitende und 45 Museumsführer_innen als Freelancer.

Da das Museum Aargau an sieben von seinen neun Standorten im Aargau personelle Vermittlung macht, bin ich viel am Herumreisen, um die einzelnen Teams zu besuchen.
Wir, das heisst die sechs Vermittler_innen und ich, organisieren jährliche interne wie auch extern eingekaufte Weiterbildungen für alle. Wir erarbeiten Inhalte für neue Workshops und Führungen zum jeweiligen Saisonthema. Das kann sein: Gartengeschichte, Frauenbiografien, Heilkunde, Strafrecht durch die Zeit, Essgeschichten, etc., etc.
Wir leiten auch verschiedene kleinere Projekte wie das Archivprojekt mit Erschliessung von Quellen, Partizipationsprojekte, wo Kinder Ausstellungen wie das PLIRRK! auf Schloss Lenzburg erarbeiten, die App zur IndustriekulTOUR Aabach und das Kochbuch zusammen mit dem Freiwilligenmanagement.

Wichtig ist auch, die neuesten Impulse zur Vermittlung mitzubekommen. Meist ist da England in seiner Museumslandschaft Pulsgeber für Europa. Auch in der Zusammenarbeit mit den Fachhochschulen liegt eine Chance, die Entwicklungen in den Schulen nicht aus den Augen zu verlieren. Der Lehrplan 21 ist für uns als ausserschulischer Lernort von grösster Wichtigkeit und wird die nächsten Jahre unsere Inhalte und unsere Geschichtsvermittlung beeinflussen.

Ihr neuestes Projekt ist eine App zur Industriekultur am Aabach. Was kann man sich genau darunter vorstellen?

Der Aabach fliesst vom Hallwilersee bei Seengen bis nach Wildegg, wo er in die Aare mündet. In den letzten 200 Jahren siedelten sich viele Industrien am Bach an, zapften via Kanäle die Wasserkraft an und produzierten zum Beispiel Mehl, Karton, Zigarren, Seidenstoffe, Pistolen, Elektrizität, Teigwaren, bedruckte Kattunrollen (Baumwolle), Nägel, Gips, Kupferdraht und vieles mehr! Heute sind die meisten dieser Fabriken stillgelegt, umgenutzt oder gar dem Erdboden gleichgemacht. Zusammen mit dem Verein Industriekultur am Aabach haben wir eine App erarbeitet, welche den bestehenden Industriepfad mit augmented Reality überlagert und die alten Hallen wieder auferstehen lässt. Wir haben Interviews geführt mit ehemaligen Fabrikarbeiter_innen, haben Bild- und Schriftquellen studiert und alles zu verschiedenen thematischen Rundgängen zusammengeführt.

Die HünerwADELtour erzählt die Geschichte einer Industriellenfamilie, in der Brunnertour begegnen wir Kinder und jungen Frauen, die in den Fabriken Schwerstarbeit leisten, etc. Dank der tollen App von Locly aus Wales ist es gar möglich, dass man virtuell durch Türen in andere Zeiten tritt, sich im alten Schulzimmer aus dem 19. Jahrhundert die Wandtafelzeichungen anschauen oder durch Wände in die ansonsten unzugänglichen Turbinenhalle blicken kann.
Industriegeschichte wird leider noch immer vernachlässigt, sowohl denkmalpflegerisch, schulisch wie auch in der Vermittlung. Dies wollen wir ändern, in dem wir jeweils am Schauplatz spannende Geschichten mit wirklich coolen Gadgets erzählen!

Geplant ist auch ein Kochbuch zur mittelalterlichen Küche. Wie entstand dieses Projekt? Und was wurde damals gekocht?

Auf Schloss Lenzburg wird schon über 20 Jahre mittelalterlich gekocht. Neben Schulklassen kamen auch immer Gruppen, Vereine und Arbeitsteams, um gemeinsam Mittag-, oder Abendessen zu kochen. Heute nennt man das Teambildung! So hat sich über die Jahre ein praktisches Wissen und viel Erfahrung angesammelt. Vor 10 Jahren konnten wir das Angebot noch ausweiten: Das heute gut etablierte Freiwilligenprogramm schuf ein Kochgrüppli, welches an Sonntagen jeweils für die BesucherInnen im Schlosshof mittelalterliche Häppli zum Probieren kocht und bäckt.
Am grossen Mittelaltermarkt haben wir eine Schauküche, wo wir drei Tage hintereinander einfache bis komplizierte Rezepte nachkochen – seit diesem Jahr haben wir auch einen rekonstruierten Backofen für Pasteten und Kuchen.
An solchen Events wurden wir immer wieder nach den Rezepten gefragt, die wir dann auf losen Blättern abgegeben haben. Die Idee, daraus ein Buch zu machen, wurde irgendwann konkretisiert und diesen März ist es so weit, «von birn und mandelkern» wird im hier&jetzt Verlag, Baden, herauskommen! Im Ganzen haben wohl fast 15 Personen mitgearbeitet beim rezeptenachkochen, fotografieren, recherchieren, schreiben und bei der Redaktion aller Texte.
Unsere Rezepte sind aus unterschiedlichen Sammlungen aus Frankreich, Italien, Deutschland, England und der Schweiz aus dem 14. und vor allem 15. Jahrhundert. Die Kochbücher stammen aus höfischem Umfeld oder aus reichen städtischen Haushalten. Es finden sich daher exotische und teure Gewürze und Zutaten darin wie Safran und Muskatnuss oder Zitronen und Zucker.
Meine Lieblingsrezepte habe ich diesen Silvester in ein Menu verpackt: frittierter Spinat und Kaiserkrapfen zum Apero, Zanzarellisuppe als Vorspeise, Heidnischer Kuochen mit Kohleintopf zum Hauptgang und die Sahnetorte mit Safran als Dessert!

Wo finden Sie die schönen Kostüme, die Sie jeweils zu den Events tragen?

Die mittelalterlichen Kleider sind alle selbst genäht, entweder von der Trägerin selbst oder in Auftrag gegeben. Da ist auch immer wichtig zu entscheiden, welche Zeit vermittelt werden will: Ende 14. Jahrhundert trug man andere Schnitte als 50 Jahre später! Dazu gehören auch die richtige Haube und passende Accessoires. Wobei ich immer wieder betonen muss, dass wir in der Geschichtsvermittlung im Museum Aargau kein Reenactment machen, also nicht 100 % Authentizität und komplette Handarbeit garantieren können und wollen. Dazu fehlt uns die Zeit – und auch das Geld. Ausserdem erzählen wir in den Schlössern jeweils 1000 Jahre Geschichte, da braucht es einen Pragmatismus: Unsere «Mägde» im Mittelalterkleid zum Beispiel können durch die Zeit reisen und auch im Wohnmuseumsraum des 20. Jahrhunderts Geschichte erzählen. Die Kostüme aus der Barockzeit, Belle Epoque oder dem Empire haben wir bei sehr guten Kostümschneiderinnen gekauft.
Wir haben also einen grossen Fundus an vielen Kostümen aus verschiedenen Zeiten für die Vermittlung!

> Museum Aargau 

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