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Erfinderin

Die Zürcher Physikerin, Erfinderin und ETH-Professorin Ursula Keller erhielt 2018 den Europäischen Erfinderpreis für ihr Lebenswerk. Keller hat mit ihrer Erfindung die Lasertechnologie revolutioniert.

Das Interview wurde vor der Preisverleihung durchgeführt.

Frau Dr. Keller, Sie sind in der Kategorie Lebenswerk für den renommierten Europäischen Erfinderpreis nominiert – und das in relativ jungen Jahren!

Ursula Keller: Mit 59 bin ich nicht mehr so jung und leider schon beinahe am Ende meiner Karriere. Ich darf nur noch sechs Jahre arbeiten, was ich sehr bedauere, da meine Forschungstätigkeit kein Nine-to-five-Job ist, sondern eine Passion. Ich habe das Glück, einen Traumjob ausüben zu dürfen.

Sie gelten als Wegbereiterin im Bereich Laserlicht und haben die erste Methode zur Erzeugung von ultraschnellen Lichtimpulsen erfunden. Was heisst das konkret?

Ursula Keller: Im Prinzip habe ich mit meiner Erfindung den kurzgepulsten Laser industrietauglich gemacht. Zuvor liessen sich kurze Pulse nur im Labor und mit sehr grossem Aufwand produzieren, was sich industriell nicht umsetzen liess.

Und was kann damit bewerkstelligt werden?

Ursula Keller: Sehr vieles. Eine wichtige Anwendung ist Materialabtragung. Mit dem kurzen Laserpuls lässt sich leicht und sehr genau arbeiten. Etwas, das etliche Leute kennen ist die Lasik-Augenkorrektur, die ein Leben ohne Brille ermöglichen kann. Weitere Anwendungsmöglichkeiten, neben medizinischer Diagnostik und Chirurgie, sind das Schneiden und Schweissen in unterschiedlichen Bereichen wie Automobilindustrie, Kommunikationstechnologie oder Elektronik. Das Glas des iPhones wird zum Beispiel mit solchen kurzgepulsten Lasern geschnitten. Anders lässt sich das Material in dieser Form nicht zuschneiden. Mit traditionellen Laser wäre die Wärme- und die mechanische Belastung durch die Hitze, die dabei produziert wird, viel zu gross und das Glas würde brechen. Mit den kurz gepulsten Laser jedoch lässt es sich wie Butter schneiden.

»Ursula Keller hat einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass Europa in der Forschung und beim Einsatz ultraschneller Laser weltweit führend ist!« (EPA-Präsident Benoît Battistel)

Viele wichtige Erfindungen sind durch Zufall entstanden. War das mit dem kurzgepulsten Laser auch so?

Ursula Keller: Ja, in der Tat hätte der Vorversuch anders ausgehen sollen. Ich habe etwas gemacht, es hat nicht funktioniert, ich habe verstanden, warum und das führte zur Erfindung. Dies ist sehr oft ein normaler Prozess bei Forschungsarbeit. Genau aus diesem Grund führen wir in der Physik Experimente durch. Wir skizzieren einen Plan und hoffen, auf Resultate zu stossen, die uns inspirieren und weiterbringen. Meinen Student_innen sage ich immer: Schaut, wenn eure Versuche nicht so funktionieren, wie ihr hofft, seid ihr vielleicht am Anfang einer neuen Entdeckung –, womöglich ist aber auch nur ein Kabel falsch eingesteckt. Eine exzellente Forscherin mit guter Messtechnik wird den Unterschied in der Regel sofort bemerken und den Fehler effizient beheben.

Wer etwas erfinden will, braucht vermutlich eine grosse Frustrationstoleranz.

Ursula Keller: Manche sind extrem gut in Trouble-Shooting. Andere sind total gestresst, wenn Dinge nicht wie erwartet klappen. In derartigen Situationen zeigt sich, wer für Forschungsarbeit geeignet ist. Vielleicht sind geborene Erfinder diese Kinder, die manchmal etwas unbequem sind, die alles genau wissen möchten und hinterfragen, und ihre eigene Wege gehen wollen. Sie haben das Potential zum Erfinder, zur Erfinderin. Dies ist Eltern von eigenwilligen Kindern vielleicht ein kleiner Trost.

Und was führt zum Erfolg?

Ursula Keller: Neugier. Das Wichtigste ist, wahnsinnig neugierig zu sein und nie eine Antwort oder ein Resultat einfach als gegeben anzunehmen, wenn man nicht hundertprozentig davon überzeugt ist. Dazu braucht es auch ein ausgezeichnetes Grundlagenwissen. Wenn wir neue Gebiete erforschen, dann bringt auswendig gelerntes Wissen nichts. Um effizient neue Wege zu finden und zu beschreiten, muss man von Verstandenem ausgehen. Erst dann können die richtigen Schlussfolgerungen gezogen werden.

Im Rahmen Ihrer Forschung entwickelten Sie auch die Attoclock, eine der genausten Uhren der Welt mit Laserlicht als dem präzisesten Zeiger der Welt. Damit lassen sich Attosekunden messen, den milliardsten Teil einer Milliardstensekunde. Wozu brauchen wir eine so genaue Zeitmessung? Auf Ihrem You-Tube-Video haben Sie Fotosynthese erwähnt.

Ursula Keller: Fotosynthese ist eine faszinierende Sache, mit extrem schnellen Vorgängen, die sich leider noch nicht künstlich nachmachen lässt. Einer der ältesten Prozesse der Erde zu kopieren ist alles andere als trivial. Die Natur hatte viel Zeit, um ihn zu optimieren. Was wir uns zurzeit fragen: Müssen wir das Original nachmachen, um Fotosynthese im Labor zu erzeugen, oder kann das Verfahren vereinfacht werden? Durch die Attosekunden lassen sich zum ersten Mal die ganz schnellen Vorgänge messen, aber das ist nur ein Teil von einem relativ langen Prozess.

Das ist ja unvorstellbar, fantastisch.

Ursula Keller: Ja, es ist grossartig. Wir können heutzutage nicht mehr Amerika entdecken, aber mit unserer Forschung immer wieder Dinge, die wir nicht verstehen auf den Grund gehen. Und das finde ich wahnsinnig bereichernd. Deshalb wird es für mich hart sein, wenn ich nach meiner Pensionierung nicht mehr forschen darf.

 

Frauenförderin

Mit 33 schrieb Ursula Keller Geschichte als erste Frau an einem naturwissenschaftlichen Lehrstuhl der ETH Zürich.Sie hat den Women Professors Forum gegründet und rät jungen Frauen, Veränderung zu fordern.

»Viele Frauen unterschätzen, wie zentral ein tragendes Netzwerk ist.«

Noch eine letzte Frage: Frau Keller, was gibt es noch nicht und müsste unbedingt erfunden werden?

Ursula Keller: Da gibt es so vieles. Ich habe jetzt ein neues Auto, einen Tesla, der autonom fahren kann, und bin davon begeistert. Zurzeit befinden wir uns mitten in einer technischen – und auch biologischen Revolution. Irgendwann werden wir wohl künstliches Gewebe kreieren können. Ach, ich könnte hunderttausend Sachen aufzählen. Sehr gerne würde ich ewig leben, damit ich das alles sehen und miterleben kann.

> Prof. Dr. Ursula Keller, ETH Zürich

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