Jana Avanzini, freie Journalistin und Theaterwissenschaftlerin, schreibt, warum sie am 14. Juni streiken wird.
Wenn ich um 3 Uhr nachts aufstehen muss, um das aufzuschreiben, bevor ich wieder schlafen kann …
Ich sage «Frauenstreik» und du schüttelst den Kopf. Du sagst «So en Seich». Du fragst nicht «Warum?».
Ich sags dir trotzdem.
Weshalb ich streiken werde. Und weshalb ich mir wünsche, dass wir am 14. Juni 2019 Seite an Seite stehen.
Ich streike, weil unsere Mütter und Grossmütter mit halb so viel Rente auskommen müssen, wie unsere Väter und Grossväter. Weil sie rund 80 Prozent der unbezahlten Arbeit übernehmen. Das Erziehen der Kinder, die Pflege von kranken und älteren Angehörigen, die Hausarbeit. Arbeit. Weil sie seit der Geburt der Kinder Teilzeit gearbeitet und deshalb kaum in die AHV und Pensionskasse einbezahlt haben.
Weil wir noch immer bis zu 20 Prozent weniger verdienen. Davon 40 Prozent nicht erklärbar. Doch was ist erklärbar? Dass «Frauenberufe» weniger Wert zugeschrieben wird, sie weniger Anerkennung bekommen. Und wer hat entschieden, dass die Arbeit eines Bank-Beamten so viel mehr Wert für unsere Gesellschaft haben soll, als die einer Pflege-Fachkraft? Wer hat entschieden, dass mein Job als Journalistin mehr Wert hat als die Betreuung meines Kindes?
Wenn es um Sachen Gleichstellung geht, argumentieren viele mit Schweden. Doch wir brauchen nicht so weit über die Grenze schauen. Blickt nach Deutschland. Da macht sich Oliver Wenke in der Heute-Show selbstironisch darüber lustig, dass Frauen noch immer sechs Prozent weniger verdienen. Von einer solchen Ungerechtigkeit können wir Frauen in der Schweiz nur träumen. In Deutschland wurde gerade erst über einen Preis für einen «Spitzenvater» gestritten, der ein Jahr in Elternzeit zuhause bleibt, während seine Frau ins All fliegt. Dass er nur schon die Möglichkeit hat und dafür als Vorbild gefeiert wird, davon können wir in der Schweiz nur träumen.
Das macht mich wütend! Es macht mich wütend, dass Männer in der Schweiz exakt einen Tag Vaterschaftsurlaub bekommen. Es macht mich wütend, wenn ein Bekannter von mir seine Kinder zuhause kaum sieht, weil er sich nicht traut, in der Firma seines Vaters Teilzeit zu arbeiten. Was würden denn die alteingesessenen Mitarbeiter*innen sagen? Wie stünde er da? Der künftige Chef! Es macht mich wütend, dass seine Frau zuhause sitzt, trotz super Ausbildung und dem Wunsch, wieder einzusteigen. Es macht mich wütend und ich kann es nicht verstehen.
Der Frauenstreik fordert Vaterschaftsurlaub, er fordert Elternzeit, wir fordern gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit, und, dass Teilzeitmodelle für Männer und Frauen möglich sein müssen, in allen Funktionen und Positionen. Und bitte zwingt mich jetzt nicht dazu, dass ich über die Studien diskutieren muss, die beweisen, dass Leute in 80 Prozent Pensen gleich viel Leistung bringen, wie die mit einer 43 Stunden Woche.
Und nein, auch wenn ich hier vor allem wirtschaftliche Argumente und Argumente, die Eltern betreffen ins Land führe, streike ich nicht nur deswegen. Ich streike für die Gleichstellung in der Gesellschaft. Dafür, dass Mädchen nicht gesagt bekommen, auf Bäume zu klettern sei gefährlich und dass die rosa Strumpfhose nicht dreckig werden soll. Dafür, dass mein Sohn das Wort «Mädchen» niemals als Beleidigung für seine Freunde verwenden wird. Dafür, dass mich die Werbung nicht zur Hülle degradiert. Und dafür, dass unsere Körper kein Allgemeingut sind.
Mich macht es wütend! Dass ich mit 13 Jahren das erste Mal bedrängt worden bin, dass mich an der Fasnacht ein Wildfremder aus dem Nichts an die Wand presst und mir sagt, wo er ihn mir überall reinstecken wird. Wenn mir im Klub beim Tanzen plötzlich eine Hand von hinten zwischen die Beine greift. Es macht mich wütend, dass bei einem Interview ein 80-Jähriger meint, mir an den Hintern greifen zu dürfen. Und es macht mich wütend, dass jede einzelne meiner Freundinnen solche Geschichten zu erzählen hat.
Ich streike nicht nur für die Gleichstellung in der Wirtschaft. Ich streike für Gleichstellung. Gegen konservative, romantisierte Rollenbilder und Geschlechter-Stereotype, gegen Sexismus und Gewalt. Für uns, unsere Vorkämpferinnen und für alle Frauen nach uns.
Liebe Frauen
Wenn ihr mit eurem Lohn zufrieden seid, mit eurer Rolle in dieser Gesellschaft, mit euren Möglichkeiten, wenn ihr euch nicht benachteiligt fühlt, dann streikt aus Solidarität. Mit euren Müttern und Grossmüttern, der Pflegefachkraft, der Hebamme, der Bäuerin im Hof nebenan oder eurer Putzfrau.
Und liebe Männer, solidarisiert euch. Wir kämpfen wirklich, wirklich, wirklich nicht gegen euch. Wir können es immer und immer und immer wieder sagen. Feminismus will Gleichstellung. Nicht mehr. Und verdammt nochmal nicht weniger.
P.S. Bloody unfair! Ich streike übrigens auch für die Abschaffung der 7,7 Prozent MwSt. auf Tampons, Binden und Cups. Das ist sowieso völlig daneben.
Foto: Ingo Hoehn
2 Kommentare