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Balletttänzerin

Lou Spichtig (21) tanzt, seit sie vier Jahre alt ist. Mit sechs ging sie sechsmal pro Woche ins Balletttraining und mit neun Jahren nahm sie an Wettbewerben teil. Sie hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten. Zurzeit ist sie beim Queensland Ballet in Australien engagiert.

Frau Spichtig, was bedeutet Ihnen das Balletttanzen?

Das Tanzen gehört zu mir wie ein Körperteil. Es ist meine vierte Sprache und ein grosser Teil meiner Identität. Ich werde oft gefragt, ob mir das Balletttanzen die Kindheit geraubt hat. Ich würde sagen: Ganz im Gegenteil. Ich war immer glücklich! Und es hat mir mein jetziges Leben ermöglicht. Dank dem Tanz habe ich viele Dinge erlebt, Länder kennengelernt und Menschen getroffen, von denen ich mit einem «normalen» Werdegang nur hätte träumen können.

Woraus besteht das Training einer Balletttänzerin?

Wir arbeiten täglich von 10 bis 18 Uhr, montags bis freitags. Der Tag beginnt mit eineinhalb Stunden Ballettunterricht, danach wird in unterschiedlichen Zeitblöcken geprobt, unterbrochen durch einer Stunde Mittagspause. Finden Vorstellungen statt, arbeiten wir meistens bis 23 Uhr mit einer längeren Pause am Nachmittag. Wie viele Stunden jemand zusätzlich in den Beruf investieren möchte – sei es mit Konditionstraining, Krafttraining, Pilates, Yoga, alleine im Studio oder vor dem Computer – ist ihm selbst überlassen.

Wie bringen Sie Grazie und Ausdruck in alle Bewegungen?

Von Kindheit auf üben wir dieselben Schritte. Die Grazie des klassischen Tanzes kommt dabei von alleine zum Ausdruck. Sehr schnell einmal wird sichtbar, wem die Finesse, die der klassische Tanz benötigt, gegeben ist.

Tanzen Sie auch moderne Tanzstile?

Ja, während meiner Ausbildung an der Tanzakademie Zürich wurde viel Aufmerksamkeit auf moderne Tanzlektionen gelegt. Das gab mir eine gute Basis für mein erstes Engagement am Ballett Zürich, wo viele bemerkenswerte moderne und neoklassische Stücke aufgeführt werden. Das Repertoire des Queensland Ballets umfasst vorwiegend klassischer Tanz, aber auch moderne Stücke.

Haben Sie auf der Bühne noch Lampenfieber?

Nein, höchstens ein Kribbeln im Bauch, bevor ich auf die Bühne trete. Als Teenager litt ich stark darunter. Damals war ich kurz davor aufzugeben, weil mir das Tanzen im Rampenlicht so viel Kraft kostete. Erst als ich Mitglied einer Kompanie wurde und nicht mehr ständig im Vordergrund, sondern in der hintersten Reihe der Gruppe stand, kaum sichtbar, lernte ich, entspannt zu tanzen. Heute ist jeder Augenblick auf der Bühne die Belohnung für die Arbeit im Studio.
Wenn jemand, den ich persönlich kenne, im Publikum sitzt, freue ich mich ganz besonders. Dann habe das Gefühl, nur für diese Person zu tanzen!

Eine Tanzkarriere dauert manchmal nur kurz. Ist es als Ballerina möglich, Mutter zu werden? Oder ist mit der Schwangerschaft die Karriere beendet?

Klar ist es möglich! In den meisten Kompanien sind viele Tänzerinnen auch Mütter.
Ein Kinderwunsch bedeutet nicht gleich das Ende einer Karriere, aber eine riesige Umstellung muss es bestimmt sein.

Was ist ihr grösster Wunsch für die Zukunft?

Ich hoffe, später einmal, auf eine erfüllende Karriere zurückblicken zu können. Klar möchte ich grosse Rollen tanzen, aber wichtiger als Ruhm sind für mich die vielen kleinen Momente, die mein Leben als Tänzerin ausmachen und meistens die schönsten sind.
Nach meiner Zeit auf der Bühne will ich mich für die Schweizer Tanzszene einsetzen. Am liebsten würde ich die Direktion der Akademie übernehmen, an der ich ausgebildet wurde. Wichtig dabei ist mir, dass die Schule weiterhin Kinder, die in der Schweiz leben, auf eine Zukunft in der Ballettwelt vorbereitet. Das sicherzustellen ist mir ein Anliegen.

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