2019

Wirtschaft ist Care

Caroline Krüger, Dr. phil., Erwerbsarbeit an der Medizinischen Fakultät der UZH, alleinerziehende Mutter eines Sohnes, engagiert für den Verein und vor allem den Denkansatz Wirtschaft ist Care.

Frau Krüger, was hat der Feminismus in der Schweiz bis jetzt erreicht? – Was noch nicht? Können Männer etwas zum Feminismus beitragen?

Caroline Krüger: Ich bin 1971 geboren – in dem Jahr, in dem das Stimmrecht für Frauen eingeführt wurde. Daran zu denken, dass dieses Recht in der Schweiz nicht älter ist, als ich selbst, finde ich eindrücklich. Ich bin den Frauen, die dies erkämpft haben, dankbar. Gleichstellung ist für mich nicht das Ziel, sondern ein Ausgangspunkt für weiteres Denken.
Die zweite Frage, ob Männer etwas beitragen können, möchte ich deshalb gleich mit in die Antwort nehmen. Ja, das können sie – ich denke, es geht jetzt darum zu überlegen, wie ein gutes Leben für alle aussehen kann und dafür braucht es alle Geschlechter.

Wenn wir uns vom Denken, dass alles traditionell männlich Konnotierte per se gut und erstrebenswert ist, lösen, können wir in den Blick nehmen, was uns gemeinsam wichtig ist.
Für mich ist hier der Begriff Care zentral – er hat eine doppelte Bedeutung. Einerseits bezeichnen wir damit die klassischen Pflege- und Sorgetätigkeiten, die oft Frauen* zugeordnet werden, schlecht oder gar nicht bezahlt und eher als weniger bedeutsam angesehen werden. Diese Wertung hängt damit zusammen, dass die Erwerbsarbeit als wichtigstes Element des Lebens angesehen wird. Wir sind allerdings alle nicht als selbstständige Erwachsene zur Welt gekommen; jemand – oft eine Frau – hat sich um uns gekümmert, sich gesorgt, für uns gesorgt. Und auch am Ende jeden Lebens braucht es wieder mehr Care, mehr Sorge, mehr Pflege. Diese Tätigkeiten sind notwendig und unverzichtbar und sollten daher nicht als Kostenfaktor, sondern als Zentrum der Wirtschaft und des Wirtschaftens angesehen werden.

Hier setzt «Wirtschaft ist Care» an – denn Care kann auch noch etwas anders gesehen werden: als ein Kriterium für die Tätigkeiten, die wir ausüben. Tätigkeiten, die Bedürfnisse befriedigen – was eigentlich die Aufgabe der Wirtschaft ist – gehören ins Zentrum, während andere Tätigkeiten weniger wichtig sind. Vielen Tätigkeiten liegen Bedürfnisse zugrunde, auch solchen, denen wir es nicht auf den ersten Blick ansehen – wir bauen eine Brücke, weil Menschen das Bedürfnis haben, den Fluss zu überqueren beispielsweise.
Tätigkeiten, die kein Bedürfnis befriedigen, sollten wir hinterfragen – wofür braucht es die Produktion von Waffen?

Nach wie vor arbeiten viele Frauen ehrenamtlich und stehen nach einer Scheidung oder im Alter mittellos da, wie könnte das geändert werden?

Wenn wir davon ausgehen, dass Wirtschaft Care ist, müssen die Konzepte von «Ehrenamt», «Freiwilligenarbeit», «unbezahlter Arbeit» und Erwerbsarbeit überdacht und neu bewertet werden. 
Das Recht auf Arbeit sollte in zwei Rechte geteilt werden: das Recht auf Sicherung des Lebensunterhalts und das Recht auf sinnvolle Tätigkeit.
Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens finde ich interessant, jedoch muss die Care-Perspektive in ein Konzept des BGE miteinfliessen. Das Grundeinkommen sollte nicht als Finanzierung der bisher unbezahlten (Care)Arbeit angesehen werden, da dies die traditionellen Geschlechterrollen zementieren würde. Vielmehr sollte ein wirklich bedingungsloses Grundeinkommen dazu beitragen, dass ein würdiges Leben möglich ist – für alle, weil sie es brauchen und bevor sie etwas leisten müssen. (Bevor Sie jetzt beim Lesen innerlich sagen «das können wir nicht bezahlen», überlegen Sie kurz, ob Sie überlebt hätten, wenn Ihre Mutter* nur für finanzielle Anreize gearbeitet hätte.)

Da wir – leider – nicht ab sofort einfach alles anders machen können, ist es auch wichtig, andere Möglichkeiten zu prüfen, wie zum Beispiel die Anrechnung unbezahlter Tätigkeiten für die Altersvorsorge. Das BfS erhebt seit über 20 Jahren die Zahlen zur unbezahlten Arbeit und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Sichtbarmachung des (enormen) Volumens und der Bedeutung.

Welche Feminist_innen sollten unsere Leser_innen kennen?

Gern möchte ich statt einzelner Personen eine Praxis und einige Plattformen empfehlen.

Die Praxis: Beziehen Sie sich auf andere Frauen, zitieren Sie diese, anerkennen Sie öffentlich, wenn Sie von anderen Frauen etwas gelernt haben, wenn Sie einverstanden sind oder sich geärgert haben. Das klingt banal, jedoch hat es eine Wirkung, es hilft beim Sichtbarmachen und zeigt, wie Gedanken sich entwickeln – oft im Gespräch, in Beziehung zu anderen.

Und dann:

www.bzw-weiterdenken.de ist ein Internetforum, das, von Beziehungen unter Frauen ausgehend – daher der Titel – , ein philosophisches und politisches Gespräch ermöglicht.

www.care-revolution.org/netzwerk ist ein Zusammenschluss von über 80 Gruppen und Personen, die in verschiedenen Feldern sozialer Reproduktion – Hausarbeit, Gesundheit, Pflege, Assistenz, Erziehung, Bildung, Wohnen und Sexarbeit – aktiv sind.

www.maenner.ch zeigt, wie Männer den Prozess der Emanzipation mitgestalten wollen und können.

www.abcdesgutenlebens.wordpress.com ist die Online-Version eines «ABC des guten Lebens», in dem wir 9 Autorinnen uns mit Begriffen wie Care, Tätigsein, Wirtinschaft auseinandergesetzt haben.

Und zuletzt:

www.denkumenta. … ist die Ausschreibung einer Konferenz zum Thema Über_setzen, die im August stattfindet – eine Gelegenheit zur Diskussion, Beiträge willkommen!

Foto: Ute Knüfer

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