2019

In Balance

Barbara Diethelm (1962), Künstlerin und Geschäftsleiterin des Familienunternehmens Lascaux

Frau Diethelm, Sie sind Künstlerin und bewegen sich durch Ihre Arbeit im Familienunternehmen in Künstlerkreisen. Ist Gleichstellung im Bereich Kunst überhaupt ein Thema?

Gleichstellung ist für mich nicht nur eine Genderfrage, sondern vor allem eine Balance der weiblichen und männlichen Prinzipien, die in erster Linie nichts mit Mann oder Frau zu tun haben, sondern mit zwei gleichwertigen Grundprinzipien, die wesentlich sind für unser Leben und Fortbestehen.

Unsere Gesellschaft ist männlich dominiert: Dies zeigt sich im ausbeuterischen und respektlosen Umgang mit der Natur und uns selbst – anstelle eines harmonischen und nachhaltigen Umgangs. Man denke hier auch an den geringen Stellenwert von Kreativität und Intuition in der schulischen Erziehung zugunsten von Rationalität und Entwicklung technischer Intelligenz. Wobei wir sicher sein können, dass technischer Fortschritt allein das Überleben der Menschheit nicht sichern wird.

Den Bereich der Kunst würde ich wie folgt betrachten: Beim kreativ- schöpferischen Aspekt des Gestaltens oder des Kunstschaffenswie es heute auch genannt wird, treten mehrheitlich Frauen in Erscheinung. Sprechen wir hingegen vom Kunstmarkt, ist dieser von Männern und männlichen Werten beherrscht: Profit, Gewinn und Prestige sind die vorherrschenden Motive, das Kunstwerk als solches ist dabei zweitrangig. Und die Frauen, die sich im globalen Kunstmarktbewegen, passen sich diesen Mechanismen an. 
Dafür sind in den offiziellen Kunstinstitutionen in den letzten Jahren viele Frauen in Leitungsfunktionen berufen worden – eine erfreuliche Entwicklung. 

Und in Ihrer Firma?

Als ich meine Firma vor 25 Jahren vom Vater übernahm, war ich als Frau in der Minderheit und die einzige in einer Führungsposition. Das habe ich zügig verändert und die Mitarbeiterinnen-Zahl stieg kontinuierlich, vor allem auch in den Führungspositionen. Im Schnitt der letzten zehn Jahre haben wir einen Anteil von 50 %. Dass Frauen lohn- und konditionsmässig gleich gestellt sind wie ihre männlichen Kollegen, ist für mich selbstverständlich, wie auch das Bereitstellen von Teilzeitpensen – auch in Führungspositionen. Mein Ziel ist nicht nur die proportionale Balance zwischen Frauen und Männer, sondern vor allem zwischen männlichen und weiblichen Prinzipien. So sehe ich das Unternehmen als einen lebendigen Organismus, der durch seine Mitglieder getragen und entwickelt wird. Dabei ist es mir ein Anliegen, die Mitarbeitenden in ihren individuellen Potenzialen und ihren Eigeninitiativen wertzuschätzen und zu fördern.

Was denken Sie, hat der Feminismus in der Schweiz bis jetzt erreicht? – Was noch nicht?

Was Gleichstellung anbelangt, hat sich in der Schweiz in den letzten Jahren viel getan. Und das, obwohl sich diese Zahl – in den letzten zwei Jahren waren die Hälfte der Studierenden an Schweizer Universitäten Frauen – nicht im Berufsleben widerspiegelt. Dies liegt meiner Meinung nach daran, dass viele Frauen nicht (mehr) bereit sind, den Karriere-, Leistungs- und Wettbewerbsmarathon vieler Institutionen und Firmen mitzumachen, die nebst einer 60- bis 80-Stunden-Woche keinen Raum für persönliche Entwicklung übrig lassen. Dadurch signalisieren diese Frauen auch, dass sie die weiblichen Werte nicht weiter zurückstellen wollen. Der Grossteil der Wirtschaft läuft weiterhin nach männlichem Prinzip: Wachstumsideologie, Wettbewerb, Leistung um jeden Preis. Gerade die Jüngeren machen da zum Glück oft nicht mehr mit.

Welche Feminismus-hemmende Faktoren gibt es? 

So sind es denn auch die alten Wertvorstellungen und Glaubenssätze, wie äussere Werte versus innere Werte, die einen Grossteil der hemmenden Faktoren darstellen. Dies äussert sich in den Normen der äusseren Erscheinung und Schönheitsidealen, denen viele Frauen unterliegen und dabei ihre eigenen Werte, ihre wahre Schönheit nach hinten stellen. Denn es sind auch hier die dominierenden männlichen Werte, die den Motor der Konsumgesellschaft und das Diktat der Modebranche antreiben. 

Wie wäre Ihr Leben verlaufen, wenn Sie ein Mann wären? Wie wäre Ihr heutiger Alltag?

Wäre ich ein Mann, hätte ich mich nicht in dieser Weise für die Gleichstellung, und der Balance von weiblichen und männlichen Werten einsetzen können. Und ich hätte wohl keine ganzheitlichen Farbsysteme entwickeln können. Wie zum Beispiel das von mir 1995 entwickelte Sirius® Farbsystem, welches 2001 ein europäisches Patent erhielt. Als 2003 in der Neuauflage des Buches «Idee Farbe – Farbsysteme in Kunst und Wissenschaft von Forsius bis Sirius» das Sirius® Farbsystem als jüngstes Farbsystem aufgenommen wurde, freute mich dies ausserordentlich, da dieses Farbsystem das einzige der 47 aufgeführten Systemen der letzten 400 Jahre war, welches von einer Frau geschaffen wurde.

Welche Frauen sollten unsere Leserinnen und Leser unbedingt kennen?

Das gäbe eine lange Liste, denn es gibt so viele wunderbare Frauen, die sich für eine Gleichstellung und Stärkung der weiblichen Werte einsetzen. Meine jüngste Begegnung ist die mit der wegweisenden Naturschützerin und Südafrikanerin Linda Tucker. Sie setzt sich unermüdlich für die Erhaltung und Achtung der Kreatur, in Gestalt der weissen Löwen, und der Regeneration des Ökosystems ein. 

Denn so wie der Löwe für die Aufrechterhaltung der Lebenskontinuität in seinem Ökosystem zuständig ist, so ist es unsere Verantwortung, die Kontinuität unseres lebendigen Erbes zu bewahren und zu den ursprünglichen Naturgesetzen und Harmonien zurückzukehren.

Ich habe Linda Tucker, im Rahmen unserer Stiftung, der Fondation Lascaux, in die Schweiz eingeladen. Sie wird am 27. Juni 2019 in Zürich, in der Aula Rämibühl, einen öffentlichen Vortrag halten.

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