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Hebammen im Flüchtlingscamp

Eliane Reust (*1985) und Laura Alemanno (*1987) betreuen schwangere Frauen und junge Mütter, die sich auf der Flucht befinden. In ihrem ersten Einsatz fuhren die Hebammen mit ihrer mobilen Praxis quer durch Serbien, nun befinden sie sich in Athen und arbeiten unter anderem in diversen Flüchtlingscamps rund um die Stadt.

Frau Alemanno, Frau Reust, Sie betreuen schwangere Frauen in Flüchtlingscamps. Was gehört zu Ihren Aufgaben?

Wir arbeiten in zwei verschiedenen Camps ausserhalb von Athen. In Oinofyta bieten wir einmal pro Woche Schwangerschafts- und Wochenbettkontrolle an. In Skaramagas stehen wir den Frauen für Fragerunden zu verschieden Themen zur Verfügung. Die Fragen von Frauen auf der Flucht klingen ähnlich, wie diejenigen von Frauen in der Schweiz: Frauengesundheit kommt zur Sprache, Familienplanung, Zyklus der Frau, Stillen oder Ernährung des Kleinkindes. Tatsächlich können die schwierigen Verhältnisse jedoch nur schon die Beschaffung von Binden oder Babynahrung zum Hürdenlauf machen.

An zwei weiteren Tagen pro Woche haben wir Hebammensprechstunde bei einer lokalen und stationären Organisation hier in Athen. Je nach Nachfrage bieten wir dort auch einen Geburtsvorbereitungskurs an.

Ansonsten betreuen wir die Mütter und ihre Neugeborene in den Appartements, die ihnen von kleineren oder grösseren Organisationen zur Verfügung gestellt werden. Oft fehlt es den Familien an allem und wir können sie mit dem Nötigsten unterstützen, wie zum Beispiel Hygienematerial, Decken oder Kleidung für das Neugeborene. Stillende Mütter, die über keinerlei Mittel verfügen, unterstützen wir auch mal mit Essens-Paketen.

In Athen gibt es unzählige grössere und kleinere Squats, inoffizielle Unterkünfte, in denen viele der geflüchteten Menschen vorübergehend untergebracht worden sind. Wenn es die äusseren Gegebenheiten erlauben, steht der MAMbrella Bus vor diesen Squats und bietet auch dort den Frauen neben Materialausgabe auch Schwangerschafts- und Wochenbettkontrollen an.

Das tönt nach sehr viel Arbeit.

Ja, der Bedarf an Hebammenbetreuung ist sehr gross und die Tage haben für uns zu wenig Stunden.

Bieten Sie in Ihrer mobilen Hebammenpraxis auch Geburtshilfe an?

Nein, das wäre nicht umsetzbar und aufgrund unserer momentan verfügbaren Mittel gefährlich und unprofessionell. Die Kommunikation mit den Schwangeren ist nicht immer einfach. Wir haben in den meisten Fällen keinerlei Dokumente über die Schwangerschaft oder die Gesundheit der Frauen. Oft sind wir dankbar, wenn wir überhaupt Wissen, wann in etwa der errechnete Geburtstermin ist. Deshalb konzentrieren wir uns hauptsächlich auf Schwangerschaftsbetreuung, Geburtsvorbereitung, Wochenbettkontrollen und Stillberatung.

Woher stammen die Frauen, die zu Ihnen kommen? Benötigen Sie für die Verständigung Dolmetscherinnen?

Die meisten Frauen, die wir bisher betreut haben, kommen aus Syrien. Doch wir betreuen auch Frauen aus Afghanistan, Kurdistan, dem Irak, Palästina und Marokko. Die Frauen sprechen in den meisten Fällen ausschliesslich ihre Muttersprache und können, wenn dann, nur wenig Englisch. Durch Zufall haben wir eine junge Kurdin kennengelernt, die unter anderem Arabisch, Farsi und Sorani spricht. Sie ist ebenfalls mit ihrer Familie vor Jahren aus dem Iran geflüchtet und hat in diversen Camps auf der Balkanroute gelebt, bevor sie in Athen angekommen ist. Die junge Frau begleitet uns in die Camps und auf den Hausbesuchen. Ohne Sie wäre unsere Arbeit praktisch unmöglich.

Wie gehen Sie mit dem Erlebten um? Und mit kulturellen Unterschieden?

Ich glaube, wir werden erst zu Hause, in der wohlbehüteten Schweiz realisieren, was wir alles erlebt, gesehen und erfahren haben. Zurzeit sind wir Mittendrin und werden mit Geschichten und Eindrücken überhäuft.
Die kulturellen Unterschiede machen unsere Arbeit jedoch auch spannend. Wir sind gezwungen, über den Tellerrand zu blicken und unsere Ansichten mit denjenigen von Frauen aus anderen Kulturgebieten zu verbinden. Als Hebammen können wir ihnen unser erlerntes Handwerk weitergeben. Was wir über Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett wissen, haben wir an einer Hochschule erlernt. Das Wissen dieser Frauen ist oftmals aus traditionellen Erfahrungen in ihren Herkunftsländern entstanden. Auch wir lernen dazu. Unser Wunsch ist, dass unsere Betreuung einen positiven Einfluss auf ihr Mutter-Werden und Mutter-Sein hat. Diese Arbeit verlangt von uns viel Sensibilität und Offenheit, was zeitweise auch herausfordernd sein kann.

Arbeiten Sie mit anderen Institutionen zusammen? Und wie finanziert sich das Projekt?

Die Startphase finanzierten wir letztes Jahr mit einer Crowdfunding-Aktion. Dank dieser Spenden konnten wir die mobile Hebammenpraxis anschaffen. Nun unterstützen uns unter anderem Grossfirmen wie Farfalla und Ardo. Zwei Kirchgemeinden im Raum Bern und Zürich, die ZHAW und diverse Frauenvereine führen immer wieder Sammelaktionen für MAMbrella durch.
Auch verschiedene Spitäler und eine Arztpraxis in Basel haben uns mit Material für den Einsatz versorgt. Den grössten Teil unserer Sach- und Geldspenden erhalten wir jedoch von Privatpersonen. Wir sind all diesen Menschen unglaublich dankbar für die grosszügige Unterstützung. Zum Beispiel wurde an einem Geburtstagsfest an die Schicksale der Frauen auf der Flucht gedacht. Anstelle eines Geschenks wünschte sich das «Geburtstagskind» eine Spende an unseren Verein. Das Interesse und die Unterstützung all dieser Menschen rührt uns sehr und wir sind sehr froh darum.

Wie lange bleiben Sie noch in Athen?

Wir werden bis vor Weihnachten fix in Athen bleiben und dann im 2019 immer wieder für Einsätze zurückkehren. Während den letzten Wochen haben wir viele Kontakte mit lokalen Organisationen und Personen die sich hier engagieren hergestellt. Dort werden wir jeweils wieder anknüpfen können, wenn wir vor Ort sind. Ausserdem sind wir mit einigen griechischen und Schweizer Hebammen im Gespräch, die uns in der Arbeit ergänzen und unterstützen könnten, sodass der MAMbrella-Bus auch rollt, wenn wir beide nicht gerade vor Ort sind.

www.mambrella.ch

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