2019

Frauen in Führungspositionen

Dr. Michèle Etienne vermittelt Frauen in Aufsichtsratsgremien.

Frau Etienne, seit über 10 Jahren setzen Sie sich für mehr Frauen in Führungspositionen ein. Was hat sich in dieser Zeit geändert? Was ist unverändert geblieben?

Michèle Etienne: Verändert hat sich ganz klar die öffentliche Aufmerksamkeit und Sensibilität, welche dem Thema Frauen in Führungsfunktionen zu Teil wird. Während heute im öffentlichen Diskurs die Meinung vorherrscht, dass Diversität in Führungsgremien sinnvoll ist, wurden männerdominierte Gremien lange wenig hinterfragt. Im Laufe der Jahre erhöhte sich der Druck und konkrete Forderungen wurden gestellt, wie die Einführung einer Frauenquote. Auch wenn der Frauenanteil in den höchsten Führungsgremien in den letzten Jahren gestiegen ist, kann allerdings noch längst nicht von einer ausgewogenen Vertretung gesprochen werden. Gemessen an der Aufmerksamkeit, welche dem Thema entgegengebracht wird, hat sich zahlenmässig noch zu wenig verändert. 

Welche Gründe gibt es, um Diversität in Verwaltungsräte zu fördern?

Frauen bringen andere Erfahrungshintergründe, Sichtweisen und Führungsstile in ein Gremium ein, und sie wägen Risiken vorsichtiger ab. Dies führt nicht nur zu einer besseren Diskussionskultur und ausgewogeneren Entscheiden, sondern erhöht erwiesenermassen auch die Profitabilität: Zahlreiche Studien untersuchen und belegen diese Korrelation. So sind zum Beispiel laut einer McKinsey-Studie SMI-Unternehmen mit mindestens drei Frauen im Management deutlich profitabler. Die Eigenkapitalrendite und die Gewinnmarge sind in diesen Unternehmen signifikant höher als der Branchendurchschnitt. Frauen sind ein wesentlicher Erfolgsfaktor von Unternehmen; genau so gilt es aber auch auf eine gute Durchmischung betreffend andere Diversitätsdimensionen wie Alter, Herkunft oder Fachkenntnisse zu achten. 

Was denken Sie, weshalb halten sich althergebrachte Strukturen so hartnäckig?

Dafür gibt es mehrere Erklärungen. Das Gesellschaftsbild, in welchem Frauen primär für die Familie sorgen und keine berufliche Karriere verfolgen, ist in unserer Gesellschaft über Generationen gewachsen und noch immer verankert. Es wäre utopisch zu glauben, dass sich etwas derart Etabliertes in verhältnismässig kurzer Zeit radikal verändert. Die mediale Aufmerksamkeit, welche der Diversität in Führungsgremien entgegengebracht wird, kann für die effektive Anpassung der Strukturen paradoxerweise vielleicht sogar hinderlich sein. Durch den Diskurs entsteht der Eindruck, dass viel geschieht – doch wie eingangs angetönt sind die zahlenmässigen Veränderungen in den Gremien zwar vorhanden, jedoch auf tiefem Niveau. Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, dass an der Spitze der Wettbewerb zunimmt und mit zunehmender Hierarchiestufe auch weniger Positionen zur Besetzung zur Verfügung stehen. Mit der Wahl einer Frau geht ein Platz für einen Mann verloren – und freiwillig wird kaum einer seine Position zur Verfügung stellen. Dieses wettbewerbsorientierte Verhalten, letztlich auch das Kämpfen um den Platz und die Anerkennung fällt nicht allen Frauen gleichermassen einfach. Das ist einer der weiteren Gründe, warum Frauen in Evaluationsprozessen eine Bewerbung nicht in Erwägung ziehen oder anders angesprochen und letztlich auch überzeugt werden müssen.

Was braucht es, damit Frauen in Aufsichtsgremien nicht mehr zur Ausnahme gehören?

Auch wenn wir Frauen das nicht gerne hören, braucht die Anpassung der Strukturen wie oben erwähnt Geduld. Gleichzeitig sind aber nicht nur die traditionellen Rollenbilder Grund für die Untervertretung, sondern auch die fehlende Visibilität der Frauen. Jedem Entscheidungsträger kommen bei einer Vakanz zahlreiche männliche Kandidaten in den Sinn; hingegen ist nur eine Handvoll weiblicher Kandidatinnen einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Wenn diese dann bei einer Anfrage keine Valenzen mehr haben, kann der Eindruck entstehen, dass Frauen kein Interesse an Führungspositionen haben. Hier setzt die Eigenverantwortung aller Frauen an, indem sie aktiv ihre Karriereziele gegenüber Entscheidungsträgern und Multiplikatoren kommunizieren und sich selber visibel machen. Nicht zuletzt bin ich der Meinung, dass Frauen sich gegenseitig noch mehr unterstützen können. Leider erlebe ich es auch, dass Frauen, welche es bis an die Spitze geschafft haben, in erster Linie für sich schauen. 

Hätten Sie einen Zauberstab, was würden Sie sich wünschen?

Mein Wunsch wäre es, mit dem Zauberstab einen Zustand hervorzurufen, in welchem keine Diskussion rund um Geschlechterdiversität und Frauenquoten mehr geführt werden muss. Dies ist der Fall, wenn eine kritische Masse von Frauen in Führungspositionen erreicht ist und das Geschlecht als primäres Unterscheidungsmerkmal in den Hintergrund rückt. In einer Gruppe sind es dann Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Persönlichkeitsmerkmalen, welche sich für eine Position gut oder weniger gut eignen und ins Team passen. Aber auch ohne Zauberstab können wir schon heute dafür sorgen, dass eine genügend hohe Zahl an Frauenkandidaturen in Bewerbungsprozessen vorhanden ist. Damit reduziert sich der sog. «unconscious bias», welcher dazu führt, dass Frauen mit anderen Massstäben evaluiert werden als Männer. Ein konkreter Schritt, der sich ohne jegliche Magie realisieren lässt.

Welche Frauen sollten unsere Leser_innen kennen?

Zwei inspirierende Frauen sind für mich persönlich Nathaly Bachmann und Heike Scholten.

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